In Bern, tief unter dem Bundesplatz, glänzt golden vielleicht das stillschweizerische Fort Knox — vielleicht aber auch nicht, wer weiss … Kaum den Steinwurf davon entfernt, eine würdevolle Eingangshalle, der Lift führt fast zur Aare hinunter, ein nicht minder geheimnisvolles «Verlies»: das Archiv der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Vor vielen Jahren, als Vorbereitung zu einer Ausstellung, durfte ich (dank hochrangiger Empfehlungen und ausgestattet mit allerhöchstamtlicher Genehmigung) die sonst unzugänglichen Tresore während mehrerer Tage durchforsten, Prospekte und Vernichtungsprotokolle lesen sowie sämtliche noch vorhandenen historischen Wertpapiere der Eidgenossenschaft in allen Einzelheiten registrieren — schlicht wunschtraumhaft für einen Scripophilisten.
Jean Krafts «Bernerhof» — 1859 bei der Eröffnung das luxuriöseste Hotel der
noch jungen Bundesstadt und eines der vornehmsten der Schweiz — wurde
1923 vom Bund übernommen, ist Sitz des Eidg. Finanzdepartements und
bietet seit dem Umbau 2004/05 auch Repräsentationsräume für
Staatsempfänge und Arbeitsbesuche
(Rechnungs-Note von 1895 — details, full — sowie diejenige von 1909)
Der magere Inhalt einer unscheinbaren Mappe entpuppte sich als äusserst spannend und bietet mir bis heute ein paar Rätsel; es sind die einzigen bekannten «Äusseren Anleihen» der Schweiz, abgelegt unter «Anleihen Amerika».
I. Äussere Anleihe «Amerika», 1915, 5% USD 1'000, Specimen
Zum Vorschein kamen eine Handvoll mit «Specimen» oder «Spezimen» gekennzeichnete Musterdrucke, noch weniger gelaufene Stücke und ein paar Tilgungsbelege. Im Gegensatz zu fast allen anderen Bundesanleihen, waren hier weder Grund noch Zweck dieser Obligationen ersichtlich, keine zusätzlichen Angaben oder Vermerke, Beschlussprotokolle oder Prospekte — garreinnix. Doch die effektiven Bonds und Interimszertifikate, rund 85 Jahre alt, belegen Auslandschulden von insgesamt US Dollar 120 Mio. oder damaligen 669'200'000 Schweizer Franken. Immerhin entsprechen diese Summen (kaufkraftbereinigt) heutigen USD 1.4 Milliarden bzw. CHF 3.7 Milliarden. Weshalb, wozu?
«Amerika» | Ausgabedatum | US Dollar | Zins | Stückelung |
---|---|---|---|---|
I. Anleihe | 01.03.1915 |
15 Mio. |
5.0% |
USD 1'000 |
II. Anleihe | 01.08.1919 |
30 Mio. |
5.5% |
USD 500/1'000 |
III. Anleihe | 01.07.1920 |
25 Mio. |
8.0% |
USD 500/1'000 |
IV. Anleihe | 01.08.1923 |
20 Mio. |
5.0% |
USD 1'000 |
V. Anleihe | 01.08.1924 |
30 Mio. |
5.5% |
USD 500/1'000 |
Weshalb griff damals die Schweiz bei der Geldbeschaffung zum Mittel der «Äusseren Anleihe» und verschuldete sich in US Dollars? Anscheinend fehlte im Inland schlicht das notwendige flüssige Geld, Kredite waren nicht zu kriegen, und der Schweizer Franken war keineswegs stabil noch stark wie heute.
II. Äussere Anleihe «Amerika», 1919, 5.5% USD 500, gelaufen,
mit dem Prägesiegel der Schweizer Gesandschaft in Washington
II. Äussere Anleihe «Amerika», 1919, 5.5% USD 1'000, Interims-Schein,
Specimen, Zeichnungsstelle war u.a. Lee, Higginson & Co., Boston/MA,
dazu das effektive Stück über USD 1'000 als Specimen
Nicht nur die Eidgenossenschaft legte «Äussere Anleihen» in US Dollars auf. R.M. Smythe & Co. versteigerte im Februar 2003 zwei Specimens von Municipal Bonds der City of Berne und City of Zurich. Die beiden Muster, gedruckt bei der American Bank Note Co., sind von 1920, stammen also aus demselben Zeitraum wie die Eidgenossenpapiere und dürften aus ähnlichen Gründen ausgegeben worden sein (NB. Die Gemeinde Bern «verpfändete das Kornhaus, die Häuser Bundesgasse 38 und 40 sowie weitere Liegenschaften»).
der Berner «muni bond» von 1920, 8% USD 500, Specimen (coupons);
die Anleihe zu USD 6'000'000 lief über 25 Jahre und war gestückelt in
Obligationen zu USD 500 und USD 1'000; Facsimile von
Hermann Lindt (Stadtpräsident) und Hans Markwalder (Stadtschreiber)
Aufgetaucht sind m.W. bisher insgesamt nur neun «Municipals», nämlich je zwei 500er und 1'000er der Berner Anleihe sowie fünf Zürcher Exemplare: drei über USD 1'000 und zwei zu USD 500.
das Stadtzürcher Stück von 1920, 8% USD 1'000, Specimen (coupons);
die Anleihe zu USD 6'000'000 lief über 25 Jahre und war in
grüne Obligationen zu USD 1'000 sowie in braune 500er aufgelegt; Facsimile
von Hans Nägeli (Stadtpräsident), Emil Klöti (Finanzvorstand, Nägelis
Nachfolger, Symbolfigur des «Roten Zürich» und später Ratspolitiker
auf Bundesebene) sowie Dr. Rudolf Bollinger (Stadtschreiber)
Gottlieb Bachmann — bis 1939 Präsident des Direktoriums, danach Präsident des Bankrats der Schweizer Nationalbank — äusserte sich an der Generalversammlung der SNB im März 1940 über diese Zeit: «Landesverteidigung und Landesversorgung zwangen die Eidgenossenschaft zu rasch steigenden Ausgaben. Ihnen konnte mit Anleihen im In- und Ausland nur ungenügend begegnet werden und noch viel weniger mit erst zu schaffenden Bundessteuern. Die Notenbank musste in den Riss treten.»
III. Äussere Anleihe «Amerika», 1920, 8% USD 1'000
(Specimen USD 500)
die Vignette wurde 1991 vom U.S. Postal Service anlässlich
der Briefmarkenausgabe «Switzerland 700th Anniversary» (Scott# 2532)
im «Commemorative Panel» #359 wiederverwendet
1914, ein Jahr vor der ersten Amerika-Anleihe, war der Gold-Standard aufgehoben worden. Im November 1924 kehrte die Schweiz zurück zum neu geschaffenen System eines Gold-Devisen-Standards — drei Monate zuvor kam die fünfte und letzte Amerika-Anleihe zur Emission.
IV. Äussere Anleihe «Amerika», 1923, 5% USD 1'000, Specimen; der links
anhängende Couponbogen zeigt das Facsimile des Schweizerischen «Envoy
Extraordinary and Minister Plenipotentiary in the United States of America»;
dieses ausgegebene Exemplar zeigt allerdings eine Unterschrift, die ich
bisher noch nicht zuordnen konnte
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs verschärfte die SNB die Liquiditätskrise durch eine zu restriktive Geldpolitik und die Einführung von administrativen Massnahmen, welche das Publikum verunsicherten — hauptsächlich eine Diskontsatz-Erhöhung von 3.5% auf 6% innerhalb von nur fünf Tagen sowie die Kontingentierung des Notenumlaufs und eine Begrenzung der Kontorückzüge bei den Banken, weil die Golddeckung in kritische Nähe des gesetzlichen Minimums wegen einer dramatischen Zunahme des Banknotenbedarfs geriet (+50% in einer einzigen Woche!).
V. Äussere Anleihe «Amerika», 1924, 5.5% USD 1'000, Interims-Schein,
mit handschriftlicher Signatur des Sonderbotschafters Marc Peter;
gelaufenes Stück, dann missverstãndlich gestempelt als «Spezimen»;
Zeichnungsstelle war u.a. die National City Bank of New York;
der Standbogen fürs «Gut zum Druck» macht den Text lesbarer
V. Äussere Anleihe «Amerika», 1924, 5.5% USD 500, Specimen
und die Stückelung über USD 1'000, ebenfalls ein Specimen;
dazu die ideologisch gefärbten, dennoch lesenswerten Gedanken von
Fritz Schwarz sowie die von ihm vergleichend im viertletzten Absatz
angesprochene «Bundesbahnanleihe»
Zudem beteiligte sich die SNB über Schatzscheine stark an der Finanzierung des Bundeshaushaltes, der wegen der enormen Kosten für Landesverteidigung und -versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen zu kippen drohte, und rediskontierte einen grossen Teil der Obligationen der Eidgenossenschaft — zeitweise in der Höhe bis zu einer Milliarde Franken. Das erhöhte zwar die Liquidität, führte aber zwischen 1914 und 1918 zu einer Verdoppelung der Preise. Solchen Inflationsraten folgten schmerzlich sinkende Reallöhne und damit starke innenpolitische Spannungen, die schliesslich im Generalstreik von 1918 gipfelten; eine traumatische, die Schweiz nachhaltig prägende Erfahrung.
Schweizerische Eidgenossenschaft, 1933, 4% CHF 1'000, Specimen;
knapp die Hälfte der V. Anleihe «Amerika» wurde mittels Wandlung
in diese Schweizerfranken-Anleihe umgeschuldet;
Facsimile BR Jean-Marie Musy, Vorsteher Eidg. Finanz- und Zolldepartement
Quellen:
• Zeitdokumente der Eidg. Finanzkontrolle und des Eidg. Kassen- und Rechnungswesens
• Die währungspolitischen Hintergründe der Goldtransaktionen der Schweizerischen Nationalbank im Zweiten Weltkrieg, 1999
• die 10A der BME zu «Bern im 19 und 20 Jh — Politik im Wandel 2. Teil»
• die Festschrift von 1938 «Bellevue Palace Grandhotel und Bernerhof» und 2013 zum Hundersten die «Bellevue Chronik»
• Fritz Schwarz, «Morgan — der ungekrönte König der Welt» (alternativ)
• Botschaft über die Revision des Nationalbankgesetzes, 2002
• Robert C. Sahr, Inflation conversion factors 1665-est. 2013
• Bundesamt für Statistik, Der Teuerungsrechner, 2004
• im Text erwähnte und eigene Unterlagen
• btw: Dieser Artikel und die zugehörige Dokumentation wurden erstmals im November 2005 veröffentlicht; hier die Kurzfassung.
die Berner Regierungszeile in der Aareschleife, von Süden her gesehen
PS: Als ich 2007 drei Amerika-Anleihen erwerben konnte, lag ausserdem ein Dokument bei:
Prospekt zur I. Äusseren Anleihe «Amerika» 1915, zweites «Gut zum Druck»
Daraus wird der Zweck der ersten Anleihe etwas klarer: «(…) to provide funds to be applied to purchases (heretofore made or to be made) of commodities in the United States.».
Interessant auch die Einschätzung des Schuldners: «In our opinion the credit of Switzerland is entitled to the very highest ranking. The Government is frugal, the people honest and industrious. The country has shown for a hundred years steady growth in population, industry and foreign trade. The normal savings of the people suffice to meet all home demands for Governmental and industrial purposes and leave a substantial surplus for investment in American and other foreign securities.», und noch ein Satz zum Stolz der Nation, unseren Eisenbahnen: «The railroads are kept in first-class physical condition and the methods of accounting are believed to be highly conservative.». Da haben wir es, Schwarz auf Weiss, zumindest anno Tubak …
Swiss Federal Railways, Gepäckaufkleber, ca. 1920
PPS: Vom ehemaligen Hotel Bernerhof und seinem Pendant, dem Hotel Bellevue, sind mir zwar keine alten oder überschwenglich dekorativen Stücke bekannt, aber die gefundenen Belege sind sehr selten anzutreffen und deswegen einen Blick wert.
Bellevue Palace & Bernerhof Bern, Gepäckaufkleber, 1920er
(courtesy of Ursina)